Die Vorbereitung.

 

 

 Ich kann es nicht leugnen, ich bin richtig aufgeregt. In wenigen Tagen werde ich nach Norwegen fahren. Mein Sehnsuchtsland. Ich war schon einige Male dort, und das ist wohl auch die Ursache für meine Sehnsucht. Seit meinem letzten Besuch ist viel in meinem Leben passiert. Hochzeit, Kinder, Arbeit. Die Urlaube beschränkten sich auf Familienfreizeit außerhalb Norwegens. Der Kosten wegen. Norwegen ist nicht für kostengünstigen Urlaub bekannt. In der Zwischenzeit habe ich auch meine Jugend verloren. Die Vorstellung in einer kleinen Hütte auf durchgelegenen Matratzen zu schlafen wie damals, lässt meinen Rücken aufschreien. Das Klettern in ein Etagenbett eine seltsame Vorstellung. Ich bin bequemer geworden. Mein letzter Besuch ist 23 Jahre her.

 

 Es wird kein klassischer Familienurlaub. Meine Frau fliegt lieber mit der Tochter nach Korfu. Des Wetter wegen. Norwegen ist ja kalt, dunkel und fernab jeglicher Lebensqualität. Ein unwirtlicher Lebensraum, der Elchen und Rentieren vorbehalten ist. Vor Trollen wird gewarnt. Eine Meinung, die nicht alle teilen. Ich freue mich auf diese Reise, ich freue mich, dass mein bereits erwachsener Sohn dieses Land mit mir teilen möchte. Aus Interesse, nicht als Pfleger.

 

 Es ist Mitte Oktober. Zu dieser Jahreszeit war ich noch nicht in Norwegen. Ich kenne nur die Sonnenseite des Jahres. 24 Stunden Licht, angenehme Temperaturen. Kurze Hosen. Jetzt erwarten uns etwa 3 bis 8 Grad und je weiter wir in den Norden kommen, immer mehr abnehmende Sonnenstunden. Wie viele es am Tag werden, werde ich sehen. Ich stelle mich zumindest auf viel Dunkelheit ein. Vielleicht sogar auch auf Schnee in den höheren Lagen. Und Nordlichter. Etwas, was ich mir sehnlichst erhoffe, einmal einen weiten Himmel in den irrsten Farben erleben und mich der Faszination dieses Lichterspiels zu ergeben. 

 

 Unser Plan ist recht einfach: Mit der Bahn nach Kiel -> die Fähre nach Oslo entern und am nächsten Tag ausgeruht die Hauptstadt Norwegens erkunden. Am darauffolgenden Tag mit der Bahn weiter nach Trondheim. Zwei Nächte, dann weiter mit der Bahn nach Bodø, dem nördlichsten Punkt unserer Reise. Bodø liegt geografisch gesehen in etwa auf der Höhe des südlichen Zipfels der Lofoten, auf einem Breitengrad, der knapp oberhalb von Island verläuft und damit in etwa 100 Km nördlich des Polarkreises liegt. Zwei Tage später werden wir dann mit sehr kurzem Zwischenstopp in Bergen zurück nach Hamburg fliegen. Aufgrund der Jahreszeit haben wir uns gegen kleine Hütten oder Camping entschieden und kleine Hotelzimmer gebucht. Wir wollen die Elche und Rentiere mit unserer Anwesenheit in der Natur nicht stören.

 

 Der Weg ist das Ziel. Die Bahnfahrt durch Norwegen. Es soll atemberaubend sein. Die Bahnstrecke zählt zu den schönsten der Welt. Ich bin gespannt. Aber schon die Fährfahrt durch den Oslofjord ist eine berauschende Erfahrung und eine gute Einstimmung auf das was noch kommt. Eine Kulisse, die beeindruckt und mit Oslo an seinem Ende Maßstäbe setzt. Wer Norwegen das erste Mal besucht, wird diesen Fjord schon für das Unfassbarste halten, was er je gesehen hat. Grün, eng, wunderschön. Auf jedem Felsen klebt ein kleines Wochenendhaus. Diese Einschätzung relativiert sich erst später, wenn man weitere Fjorde im Westen Norwegens gesehen hat. Das weiss ich aus eigener Erfahrung., hier findet man irgendwann keine Superlative mehr, um das Gesehene zu beschreiben und der Oslofjord wird auf die hinteren Ränge verwiesen.

 

 Ich bin also gespannt, was dieses Land auf unserer Fahrt gen Norden alles an weiteren Naturgewalten für uns bereithält. Denn die Teile des Landes, die wir mit der Bahn durchfahren, sind mir noch gänzlich unbekannt.

 

Teil Zwei folgt in den nächsten Tagen.

 


Teil II - Von Oslo nach Kiel

 

  Was soll man mitnehmen, was lässt man besser hier? Das ist eine Frage, die mich seit Tagen umtreibt und selbst heute am Tag unserer Abreise noch nicht losgelassen hat. Die Tasche ist gepackt, aber die Unsicherheit bleibt. "Reicht das?" frage ich mich immer wieder, wenn ich die kleine Tasche ansehe. "Muss", beruhige ich mich. Ich will ja nicht mit einem großen Rollkoffer durch Norwegen reisen. Leichtes Gepäck, auf das Nötigste reduziert, aber ohne wichtige Dinge zu vergessen. Das bringt mich wieder zum Grübeln.  Die Kamera nimmt schon viel Platz weg und das weitere Objektiv hat auch ein ansehnliches Eigengewicht. Wasche ich im Hotel schnell im Waschbecken und verzichte auf zwei bis drei Tagesgarnituren? Bekomme ich die Sachen so schnell trocken? Welche Jacke nehme ich mit? Die Regenjacke oder eine, mit der man in der Stadt auch ausgehen kann? Sind Turnschuhe auf einer Bahnfahrt nicht besser als grobe Wanderschuhe, und die Frage, wieviel werde ich überhaupt wandern, weil eigentlich sind wir immer nur in Städten zu Fuß unterwegs? Die größte Angst die mich aber gerade umtreibt, ist die Frage, ob die Deutsche Bahn uns pünktlich zur Fähre nach Kiel bringt. Die Bahn glänzt zurzeit, durch eine unfassbare Unzuverlässigkeit.

 

 

… vier Stunden später …

 

 

  Da sind wir nun an Bord der Color Fantasy. Etwas in die Jahre gekommen ist das gute Schiff. Aber es wird uns bestimmt sicher nach Oslo bringen. Die Anfahrt war eine risikoarme Geschichte. Wir mieden die Bahn und ließen uns per Auto zur Fähre bringen. Die Angst vor der Deutschen Bahn war doch größer als unsere Risikobereitschaft und ich wollte nicht schon in Deutschland aufgrund unvorhergesehener Verspätungen, Zugausfälle oder anderer Problemsituationen die Fähre verpassen und das Unternehmen `Norwegen´ für gescheitert erklären müssen. Der Check In war problemlos. Wir hatten noch Zeit bis zur Öffnung des Schiffs für uns Passagiere. Wir setzten uns an den Rand in der Empfangshalle, warteten und beobachteten, wie sich die anderen Wartenden langsam zu einer Schlange formierten und dem Einlass aufs Schiff entgegenfieberten. Dieser sollte in etwa einer Dreiviertelstunde erfolgen. Immer mehr Passagiere stellten sich nach dem Check In ans Schlangenende. Die Schlangenbildung setzte sich sogar bis nach außerhalb des Terminals fort. Durch die automatische Schiebetür, die entsprechend offenstand und für frische Zugluft sorgte. Ob sich die Leute auch bei Regen draußen angestellt hätten? Nach Öffnung diverser Zugänge zum Schiff zerfiel die vorbildlich gegliederte Schlange wieder in viele Einzelteile und wir konnten bequem von unserem Platz nach vorne gehen und uns dort anstellen. Man kann es so einfach haben. Aber Menschen sind doch Herdentiere. Polonäse Blankenese. Wir sind an Bord.

 

 Die ersten Minuten an Bord ziehen sich zäh dahin. Das Gepäck ist in der Kabine, man nimmt auf dem Sonnendeck einen letzten Blick auf Kiel. 14.01 Uhr, Leinen los, ein zarter Wink an Land. Unentschlossen lassen wir uns übers Schiff treiben, sehen uns das Promenadendeck an, den Duty-Free-Shop, die Restaurants, das Casino, um nach langen 15 Minuten festzustellen, dass man alles gesehen hat. Die Panorama Lounge bietet einen ersten Hafen. Wir finden zwei bequeme Sessel und pausieren. Der Blick ist frei über die leicht gekräuselte Ostsee und die Bedienung bringt Bier und Wein. Es ist 14.47 Uhr. Noch immer 4 Stunden bis zum Abendbrot. Aber der Stopp hier oben bringt etwas Ruhe und Entspannung. Die anfängliche Unruhe abgeschüttelt, setzen wir uns auf das Sonnendeck in eine windgeschützte Ecke. Die dänischen Inseln ziehen an uns langsam vorbei und hier und da erkenne ich anhand markanter Punkte die Inseln Langeland, Fünen und Seeland. Vornehmlich anhand der Leuchttürme.

 Die Ruhe lullt uns ein und sorgt dafür, dass die Zeit schneller läuft. Es ist Mitte Oktober und man ahnt den nahenden Winter. Der Wind ist schneidend. Die Tage werden kürzer und sobald die Sonne sich zum Schlafengehen im Meer verabschiedet, sinken die Temperaturen spürbar. Unsere lauschige Ecke wird zunehmend ungemütlicher und wir verlegen unseren Platz erst einmal zurück in unsere Kabine. Da haben wir ein Fenster, wenn auch ein dreckiges.    

 

 Der Abend bringt Pizza, einen weiteren Wein in der Panorama Lounge und ein frühes Einschlafen gegen 21.30 Uhr. Auf die Disco verzichten wir. Meine Blue Suede Shoes fanden keinen Platz mehr im kleinen Gepäck. Morgen sind wir schon um 10 Uhr in Oslo und die Fahrt durch den Oslo Fjord möchte ich auf keinen Fall verpassen. 

 

Teil III folgt in den nächsten Tagen - Oslo 

 


Tag III - Einen Tag für Oslo

 

 

 Der nächste Morgen grüßt mit Sonne und dem noch im leichten Dunst liegenden Oslo Fjord. Man möchte schon hier Edward Griegs Peer Gynt in voller Lautstärke rauf und runter hören, obwohl wir gerade mal schlaftrunken durch unser schmutziges Fenster starren. Man kann sagen, wir haben gut geschlafen. Der Tag kann nur gut werden. Frühstück, Sonnendeck, auschecken. Oslo erwartet uns, das Hotel will erlaufen werden. Um 10.30 Uhr sind wir raus aus dem Schiff, haben norwegischen Boden betreten und sind zu Fuß auf dem Weg in die Stadt. Gute zwei Kilometer, immer am Hafen entlang. Glücklicherweise ist das Zimmer schon bezugsfertig. Das Citybox Hotel bietet einfachen, sauberen Komfort und einen selbständigen Check In. Herrlich, wir wissen unsere Taschen gut abgestellt und stürmen erneut in die Stadt.

 

 Die Skyline der Stadt hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Das dominante Rathaus rückte dabei bereits in den Hintergrund. Das Gesicht der Stadt ist mit viel Glas und Design verändert worden. Man möchte meinen, die Architekten hatten freie Hand bei der Gestaltung und jeder durfte seine individuellen Vorstellungen ausleben. Ich kann da keine klare Linie erkennen, es wirkt alles etwas zu unruhig, aber ich habe ja auch keine Ahnung.

 

 Am Hafen strahlt uns die neue Oper von Oslo an. Ein imposanter Bau, der einem Eisberg nachempfunden ist und architektonisch einiges zu bieten hat, unter anderem fiese Stolperfallen auf dem Weg nach oben oder unten. Je nachdem wo man hin will. Es wirkt, als erhebe sich der Eisblock direkt aus dem Hafenbecken. Das ganze Gebäude ist von außen begehbar und bietet vom obersten Punkt einen fantastischen Blick über den Hafen und die nähere Umgebung. Trotzdem sollte man immer auf die nachempfundenen Risse und Spalten im Eis achten. Ich war froh, ohne Bänderriss unten wieder angekommen zu sein. Nebenan wartet das Munch Museum. Der Schrei in drei Ausführungen und diverse andere Bilder eines Mannes, der offensichtlich mit ausgereiften Angstzuständen zu kämpfen hatte. Die Themen drehen sich immer um Angst, Wut, Verlust, Tod oder Liebe (gerne auch unglücklich). Nur wenige Bilder zeigen erbauliches, wie seine Darstellungen von Naturlandschaften, oder wie mein Lieblingsbild, die Mädchen auf der Brücke. Aber man wusste ja was einen bei Munchs erwartet.  

 

Wir ziehen weiter durch die Stadt. Unserem nächsten erklärten Ziel entgegen. Der Museumsinsel, mit den Museen für Völkerkunde, Wikinger, Thor Heyerdahl und die FRAM. Gut zu erreichen mit Fähren im Linienverkehr. Dem örtlichen Nahverkehr in gewisser Weise.  Leider fährt die Fähre gerade heute nicht zu der vorgelagerten Museumsinsel, aber glücklicherweise kann ein Linienbus uns dorthin bringen. Die Insel ist wohl gar keine Insel. Auch gut. Mit dem Linienbus bin ich auch schon sehr lange nicht mehr in Norwegen gefahren. Wir steigen beim Volksmuseum aus, um zum Wikingermuseum zu gelangen. Wenn man den Fahrplan nicht richtig liest, dann muss man eben laufen. Das Wikingermuseum ist wegen Umbaumaßnahmen geschlossen. Weiter zum Kon-Tiki Museum. Thor Heyerdahl und seine selbst gebauten Boote RA II und Kon-Tiki lassen einen erstaunt zurück. Wie kann man damit 6000 Meilen über das Meer fahren? Mit Schiffen aus Schilf und Balsaholz. Danach in das Museum welches der FRAM gewidmet ist. Dem berühmten Forschungsschiff, das sowohl die Arktis als auch die Antarktis erfolgreich bereiste. Auch hier wundert man sich was alles möglich ist. Meine Bewunderung für Roald Amundsen und seine Männer wächst, wenn ich die beengten Zustände sehe und ich mir vorstelle, mich einige Jahre mit meinen Mitreisenden auf engstem Raum friedlich arrangieren zu müssen. Teilweise eingefroren im Eis und unsicher, ob das Schiff den drückenden Eismassen gewachsen ist und nicht wie eine Walnuss zerbricht. Aber dieser Museumstag zeigt, die Norweger sind reiselustig, Entdecker und Forscher. Wie wir. Dieser Tag brachte uns einige Kilometer Fußmarsch, aber es lohnte sich. Alle Museen waren ihren Besuch wert. Erschöpft erreichten wir wieder unser Hotel, schnell was Essen und Feierabend für heute. Morgen müssen wir die Bahn nach Trondheim nehmen…

 


Teil IV - Ein Zug nach Trondheim

 

 Es war gar nicht so schwer den Bahnhof von Oslo zu finden. Überpünktlich saßen wir auf dem Bahnhof und warteten erst einmal 90 Minuten in einem Café auf den Aufruf für unseren Zug nach Trondheim. Der nach den 90 Minuten leider nicht kam. Die Anzeigetafel übersprang einfach unseren gebuchten Zug, was uns wiederum den Weg zur nächsten Information suchen ließ. Eine erste Nervosität macht sich breit. Was war jetzt? Endete hier unsere Reise schon? Arbeitet die Bahn in Norwegen wie in Deutschland zurzeit? Unzuverlässig?  

 Eine nette Dame am Informationsschalter nahm uns die Panik und klärte uns auf. Seit unserer Buchung vor einigen Monaten, ist einiges in Norwegen passiert. Auch hier hat das Wetter seine Kapriolen geschlagen und den Bahnverkehr beeinträchtigt. Als weitere Erklärung zeigte Sie uns das Bild einer eingestürzten Brücke, was die darauffolgende Umbuchung unserer Tickets rechtfertigen sollte. Das Ganze dauerte entspannte 5 Minuten und wir saßen wieder in der Wartehalle des Bahnhofs mit neuen Tickets im Gepäck. Wir würden jetzt eine halbe Stunde später abfahren, einen Zwischenstopp mit Umsteigen in Hamar machen und dann weiter nach Trondheim fahren. Sitzplätze wurden reserviert. Alles kein Problem. Beruhigend.

 Die Fahrt nach Hamar erfolgte noch mit einem Nahverkehrszug, der uns binnen einer guten Stunde ans Ziel brachte. Auch wenn die Zeitangabe im Zug noch im Jahr 2004 war. Wir kamen trotzdem zeitig an. Mittlerweile hatten wir Hunger und freuten uns auf den Speisewagen nach dem Umsteigen. Leider Bestand der nächste Zug aus lediglich zwei Wagen und sah noch mehr nach Nahverkehr aus als der vorherige Zug. Der kleine Unterschied war ein kleiner Schneepflug an der vorderen Schnauze. Ansonsten beschränkte sich der von uns erhoffte Speisewagen auf einen Getränke- und Süßigkeitenautomaten. Sieben Stunden sollte die weitere Fahrt ja nur dauern, da reicht so ein Automat. Die Wagen teilten wir uns mit einer rüstigen Rentnergruppe. Gemeinsam schunkelten wir uns an Wiesen und Feldern vorbei, sahen wie die Berge und Täler um uns herum wuchsen und der Fluss, der unser ständiger Begleiter war, immer wilder und ungezähmter wurde. Wir erreichten langsam 550 Höhenmeter und es wurde weißer und weißer um uns herum. Erst nur auf den Bergspitzen, dann auch links und rechts der Gleise. Mitte Oktober und der erste Schnee bedeckte die Landschaft. Ein frostiger Bote des bevorstehenden Winters.

 Norwegen ist bekanntermaßen schön und wenn man versucht ohne Pause aus dem Fenster zu starren, um ja nichts zu verpassen, dann kann das ganz schön anstrengend werden. Mir taten irgendwann die Augen weh und ich versuchte ein wenig auf Standby zu gehen und nur ab und an mich auf das Draußen zu konzentrieren. Um 18.30 erreichten wir Trondheim. Die Sonne war bereits untergegangen. Statt Schnee gab es Regen. Gut das alle unsere gebuchten Hotels in Bahnhofsnähe liegen.

 Das Hotel ist eine ehemalige Bäckerei und punktet mit seinem bürgerlichen Charm. Alles sauber, alles gut. Zum Essen gingen wir noch kurz ins Zentrum, um den Abend mit Bier in einem englischen Pub abzuschließen. Trondheim werden wir uns am nächsten Tag erlaufen. Immerhin die drittgrößte Kommune des Landes. Im Bett dachte ich kurz noch einmal über den Preis von 25 EUR für zwei Guinness nach, dann fielen auch schon die Augen zu.

 

Teil V kommt in den nächsten Tagen ...

 


Teil V - Ein Tag in Trondheim

 

 Das Best Western Plus Hotel Bakeriet präsentiert ein ordentliches Frühstück. Um 10 Uhr sind wir dann auch schon in der Stadt und verlassen orientierungslos das eigentliche Zentrum und landen in einem Randbezirk. Das muss man erst einmal schaffen, wenn man so zentral wohnt wie wir. Wir finden uns (vermutlich) auf dem Møllenberg wieder. Eine Aussichtsplattform, die einen weiten Blick über die Stadt verspricht und für Orientierung sorgen soll. Aber die Bäume rings herum geben nur einen kleinen Spalt in Richtung Meer frei. Wir verlassen die Anhöhe und laufen langsam in Richtung Dom hinab. Zumindest solange bis wir eine Festung hoch über uns ausmachen und spontan beschließen diese auch noch zu besuchen. Wieder den Berg hinauf. Es ist 11.30 und ich könnte schon wieder duschen. Aber die Kristiansten Festning bietet einen sagenhaften Ausblick über Trondheim, die Nidelva und den Trondheimfjord. Die herbstliche Färbung der Bäume tut ihr Übriges. Die Festung hat einen sehr erlesenen Platz. Jetzt wollen wir aber endgültig zum Nidarosdom und machen uns auf den Abstieg. Der Dom beeindruckt, eine Kathedrale im gotischen Stil. Hier werden die norwegischen Könige gekrönt. Betreten tun wir den Dom allerdings nicht. Der Eintritt ist es mir nicht wert. Mir fehlt die nötige Affinität zu derartigen Sakralbauten. Wir lassen uns mal wieder lieber durch die Stadttreiben bis wir nicht mehr wissen wohin. Mein Sohn und ich fühlen uns dabei immer wieder an die Stadt Prag erinnert. Die Bauten, der umschließende Fluss und die entspannte Lebensart. Ich google irgendwann doch mal nach einem Plattenladen, finde natürlich einen und gebe die Route vor. Am Ende stelle ich fest, dass der Laden direkt gegenüber von unserem Hotel liegt. Mein Sohn nutzt die Nähe und geht dorthin, ich in den Plattenladen. Er kann meine Leidenschaft nicht teilen. Ich genieße es, in Ruhe die Finger über die oberen Plattenkanten gleiten zu lassen und Kasten für Kasten durchzublättern. Ein meditativer Ritus, ich spüre eine angenehme Ruhe in mir aufsteigen. Am Nachmittag gebe ich einem weiteren Plattenladen eine Chance, mein Handgepäck für den Flieger ab Bodø zurück nach Hause zu vergrößern. Der Laden bietet einiges, aber nichts was es Wert wäre, mit in ein Flugzeug geschleppt zu werden. Aber gejuckt hat es mich schon, wobei die Preise für neues Vinyl mittlerweile echt nicht mehr tragbar sind.

 

 Am Abend gehen wir in Richtung Nyhavna. Eine trendige Ecke, die aus alten Industrieschuppen und Hafenanlagen besteht und mit vielen Restaurants bestückt wurde. Um 21 Uhr ist dann aber auch schon wieder die Müdigkeit der Sieger und wir geben uns geschlagen. Abends im Bett versuche ich noch im Internet für Bodø einen Weg zum Saltstraumen zu finden. Eine Meerenge, durch die bei Gezeitenwechsel Unmengen an Wasser gepresst werden. Eine Strömung mit ausufernden Strudeln bilden ein fantastisches Naturschauspiel. Dieses Schauspiel gilt als Attraktion und rangiert in den Top Ten der in Norwegen zu besichtigenden High Lights. Wenn ich schon hier oben bin, dann will ich das auch sehen. Bei meiner Recherche stolpere ich über ein Angebot, das verspricht mich mit einem Powerboot, einem RIB, direkt von Bodø in den Straumen zu fahren. Mittendrin anstatt nur dabei, aber es scheint in der Jahreszeit schon zu weit fortgeschritten zu sein, dass dieses Event für Ende Oktober nicht mehr buchbar ist. Aber wenigstens soll ein normaler Linienbus (Die 300) dorthin fahren. Eine weniger spektakuläre Anreise, aber immerhin. Ich werde aber vor Ort noch einmal meine Fühler ausstrecken und sehen was machbar ist. Vielleicht kommen wir ja doch noch zu unserem Powerboottrip.

 

 

 


Teil VI - Es fährt ein Zug nach Bodø

 

 Der Wecker klingelt um 6.15 Uhr. Ein schnelles Frühstück, unsere Bahn nach Bodø fährt um 7.49 Uhr von der Sentralstasjon ab. Den möchten wir ungerne verpassen und sind deshalb zeitig da. Die Bahn in Norwegen ist pünktlich, der Zug um einiges länger und geräumiger als die beiden Wagen von Oslo nach Trondheim. Es gibt sogar einen Speisewagen. Aber bestimmt auch einen Süßigkeiten- und Getränkeautomaten an Bord für den Notfall. Beruhigend, wir sind immerhin für die nächsten 10 Stunden hier in diesem Zug gefangen.

 

 Diese Landschaft in Norwegen ist über jeden Zweifel erhaben. Sie ist wunderschön und mit jedem gefahrenen Kilometer in Richtung Bodø wird die Landschaft einsamer und wilder. Der Fluss, der uns auf dieser Strecke begleitet, ist in einem stetigen Wandel. Mal fließt er ruhig und träge über sein ausladendes Kiesbett; man könnte durch ihn hindurch waten und ihn einfach als einen friedlichen Weggefährten betrachten. Aber er zeigt auch seine anderen Seiten, die wild und kraftstrotzend sind, wo die Ufer ihn nicht halten können, wo Bäume aus den Böschungen gespült werden und halb im Wasser liegen. Oder eine felsige Schlucht den Fluss dermaßen zusammendrängt, dass die Wassermassen wie junge Pferde über seine Felsen springen. Die Zeichen der Zivilisation werden weniger, die Häuser seltener, nur Strom und Telefonmasten deuten auf kleine in den Wäldern und Tälern versteckte Siedlungen hin. Und die einsamen aber immer gepflegten Bahnhöfe die wir alle ansteuern, stehen hoch oben in den Bergen, fern der eigentlichen Siedlungen. Der Schnee ist jetzt allgegenwärtig und die Landschaft zieht sich weit auseinander. Norwegen zeigt jetzt seine wahre Größe. Seine Weite. Der Horizont wird vor strahlend blauem Himmel mit den scharfen weißen Zacken der Bergkämme abgeschlossen. Kleine Wasserfälle sind bereits in ihrer Bewegung erstarrt. Die in bizarren Skulpturen gefangenen Wassertropfen werden erst im Frühjahr ihren Weg fortsetzen. Und immer und über allem der blaue Himmel, an dem sich die weißen Gebirgszüge klar absetzen. Immer wieder bremst der Zug ab oder hält auf freier Strecke. Er überlässt den Rentieren die Gleise, bis sie sich zurück in die Hänge ziehen. Die Welt hinter dem Fenster wirkt fremd und unnahbar und lockt doch mit einer ergreifenden Schönheit.

 

 Bodø ist eine Stadt mit einem ausgeprägten Hang zum Wasser. An der Wasserlinie drängeln sich die Hotels und Bürogebäude. Man kann nicht behaupten, dass Bodø schön ist. Es gibt nette Wohnbereiche mit Einfamilienhäusern, die aber zwischen den Büro- und Hotelkomplexen zum Wasser, und dem Flughafen im Rücken eingezwängt liegen. Eine klassische Altstadt gibt es nicht. Das wussten die deutschen Besatzer zu verhindern und ließen kaum einen Stein auf dem anderen bei ihrem Abzug. Entsprechend wurde beim Wiederaufbau die Innenstadt im praktischen Schachbrettmuster angelegt. Was hier einfach den Ort auszeichnet, ist das Umfeld. Man sieht durch die Häuserschluchten und sieht am Ende strahlende schneebedeckte Höhenzüge mit ihren gezackten Gipfeln und erinnert einen immer wieder daran, dass man zwar in einer Stadt steht, die Natur und die Weite aber nicht weit entfernt liegen. 50 Tsd. Einwohner hat Bodø und gilt als Sprungbrett zu den Lofoten. Entsprechend betriebsam ist der Hafen, die Stadt und der Flughafen. Der Flughafen ist um einiges größer als ich ihn erwartet hatte.

 

 Es ist bereits Abend, um 17.50 war Sonnenuntergang. Gegen 20 Uhr verlassen wir noch einmal das Hotel in der Hoffnung Polarlichter zu erleben. Es gibt sogar zaghafte Anzeichen die uns begeistern, fern der bekannten Hochglanz Bilder mit über den gesamten Himmel ziehenden Lichtgirlanden, aber wenn man noch nie Polarlichter gesehen hat, dann ziehen selbst diese verschwindend kleinen grünen Bänder am Himmel einen in ihren Bann und geben eine Vorstellung davon, wie es aussieht, wenn es dort oben richtig zur Sache geht. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf. Es ist kalt, wir verschieben unsere Suche auf den nächsten Tag.

 


Teil VII - Dicht am Strom

 

 Letzter Tag. Das Wetter ist unbegreiflich gut. Klar und kalt. Wir wollen zum Saltstraumen. Ich hatte mir den Besuch fest vorgenommen. Ein Sund, durch den beim Gezeitenwechsel unfassbare Mengen an Wasser gepresst werden und es zu beeindruckenden Verwirbelungen kommt. Ein Naturschauspiel und angeblich der stärkste Straumen weltweit. Die Powerbootfahrt auf die ich noch bis zuletzt spekuliert hatte, fällt aufgrund der vorangeschrittenen Jahreszeit aus. Es bleibt nur eine organisierte Bustour für 50 EUR pro Person. Oder? Es geht auch günstiger. Es fährt auch der Linienbus, für 12 EUR. Für uns beide zusammen. Geht doch. Manchmal ist das Internet doch zu was nütze. Das Museum vor Ort ist geschlossen. Alles richtig gemacht.  Von der die Meerenge überspannenden Brücke hat man einen weiten Blick. Der Straumen beeindruckt von oben und vor allem das umgebende Panorama. Ich bin hin und weg. Diesen Anblick in Worte zu fassen erspare ich mir. Es ist nicht möglich. Die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann sagte anlässlich der Olympischen Winterspiele in Lillehammer 1994 „Die Landschaft ist so schön, dass es innerlich schmerzt!“ Hier oben auf der Brücke kann ich das nur bestätigen. Der Besuch des Gezeitenstroms ist die Krönung einer fantastischen Reise. Das Beste haben wir uns wirklich für den letzten Tag aufgehoben. Norwegen macht es einem nicht leicht loszulassen und sorgt schon jetzt für Abschiedsschmerz. Leider geht unser Flieger schon am nächsten Morgen.

 

 Wir machen uns noch auf den Weg runter zum Wasser. Glatte Felsen und Holzbänke bieten einen guten Platz zum Wirken lassen. Man spürt schon bei geringer Strömung die Kraft des Wassers. Angler halten ihre Angeln in den Sog. Wir sehen eine ganze Zeit der Handvoll Angler zu. Kein Biss. Trotzdem, es juckt selbst mich, der seit Jahren keine Angel mehr in der Hand gehalten hat, die Rute auszupacken, fest in der Hand zu halten und einfach mal in den Strom zu halten. Es hätte nicht einmal einer anbeißen müssen, nur das Gefühl hätte mir schon als Befriedigung gereicht. Aber schmales Gepäck = keine Angel. Es blieb also alles in meiner Fantasie, aber das war auch schon schön.

 

 Der Linienbus bringt uns für schmales Geld wieder zurück ins warme Hotel. Leider ist uns auch an diesem Abend kein Polarlicht vergönnt. Schade.

 


Teil VIII - Abschied

 

 Unser Flieger geht heute um 8.15 Uhr. Die Sonne zieht ihren ersten gelben Streifen am Horizont und gibt dem Nachthimmel in all seinen Blau- bis Schwarztönen eine neue Facette. Es ist unter 0 Grad. Die Pfützen in den Straßen sind gefroren. Die kleine Maschine wird uns erst nach Bergen bringen. Vor hier wird uns dann eine weitere Maschine hoffentlich sicher nach Hamburg bringen. Zeit für ein Fazit: Liv Ullmann hat recht. Es fehlen einem manchmal die Worte, um das Gesehene gerecht mit Worten zu beschreiben. Was die Natur einem auftischt, sollte manchmal schweigend genossen werden. Und mir taten an einigen Tagen die Augen wirklich weh, weil ich nicht mehr wusste, wo ich überall gleichzeitig hätte hingucken sollen.

 

 Als weitere Feststellung können wir nach einer Woche Norwegen sagen: Norweger parken die E-Scooter so, dass man nicht über sie stolpert. Es kann also funktionieren. Und was wir noch feststellen mussten; wir haben nur schöne Menschen gesehen. Egal ob auf dem Bahnsteig vom kleinsten Bahnhof oder in der Großstadt. Durch alle Generationen ziehend. Selbst der Obdachlose hat hier mehr Glamour als bei uns. Wo sind die anderen? Auf die Eisscholle verbannt? Wir waren zwar nur eine Woche in Norwegen, aber es war seltsam auffällig oder ich hatte eine rosarote Urlaubsbrille auf. Ein Rätsel, das ich nicht lösen konnte.  Was ich aber mit Sicherheit sagen kann, wenn ich in Altona aus der Bahn steige, muss ich die schönen Menschen suchen. Was nicht immer leicht fällt.

 

 Ein weiteres Nachdenken fällt mir schwer. Ich hasse das Fliegen. Ich sitze verkrampft in meinem Sessel und starre in mein Buch und rede mir ein, in einem Waggon der Eisenbahn zu sitzen. Nur ab und an muss ich doch rausblicken. Unter uns der Nordatlantik mit der zerklüfteten Küstenlinie Norwegens. Es ist schon wieder ein unfassbarer Anblick.

 

 Die Landung in Fuhlsbüttel lief glatt ab, ich hätte aufstehen und applaudieren können, aber dann wäre ich der Einzige gewesen. Ich lasse es. In der S-Bahn erkenne ich einige Mitreisende wieder. Auch Norweger. Die werden direkt von einem bereits im Zug sitzenden Mitbürger in einem Sprachgewirr aus Deutsch, Englisch und Italienisch angequatscht. Sie tun mir leid. Willkommen in Hamburg.